Nachhaltigkeit im Geschäftsbericht: Pflicht oder Kür? Zwar ist die CSRD in Deutschland noch nicht in Kraft, dennoch haben sich die im DAX40 gelisteten Unternehmen dazu entschieden, die Anforderungen bereits in ihren 2024er Geschäftsberichten umzusetzen — manche in Teilen, andere vollständig. Zum 31. März waren 34 Geschäftsberichte veröffentlicht: Sie bilden die Grundlage einer quantitativen Analyse. Der Fokus unseres CSRD Monitors: Medien, Inhalte und Zugänglichkeit.
Quantität versus Qualität
Die neuen regulatorischen Anforderungen verändern den Charakter der Geschäftsberichte grundlegend, die Effekte sind messbar. Im Durchschnitt machen die ESRS-Inhalte rund 35 Prozent des Berichtes aus. Doch es verändert sich nicht nur der Umfang, auch der Fokus weitet sich. So können sich nun nicht nur Analyst:innen oder Investor:innen einen validen Überblick über die wesentlichen Themen, Maßnahmen, Kennzahlen und Ziele verschaffen, sondern beispielsweise auch potenzielle Bewerber:innen oder interessierte Mitarbeiter:innen sich ein nachprüfbares Bild darüber machen, welchen Stellenwert Nachhaltigkeit bei „ihrem“ Unternehmen genießt.
Nachhaltigkeit wird auf diese Weise zu einem markenprofilierenden Kommunikationsthema für eine erweiterte Stakeholder-Gruppe. Zumindest theoretisch. In der Praxis spiegelt sich der quantitative Umfang, der diesem Thema innerhalb der untersuchten Geschäfts- und Integrierten Berichte gewährt wird, leider in den seltensten Fällen in einer angemessenen Aufbereitungsqualität wider. Konkret meint das vor allem drei Dinge.
Der Anteil der ESRS-Inhalte variiert stark bei den untersuchten Unternehmen — zwischen 18% und knapp 70%. Im Durchschnitt liegt er bei 35%. Die Entwicklung folgt den Erwartungen: mehr Inhalt, mehr Tiefe, mehr Seiten.
Erstens:
Auf den durchschnittlich 139 Seiten kommen im Mittel 48 Tabellen zum Einsatz, aber nur 8 Grafiken. Das bedeutet: Gerade für die erweiterten Zielgruppen, bei denen sich Unternehmen mit ihrer Nachhaltigkeitskommunikation substanziell profilieren könnten, gibt es wenig anschauliche Informationen. Vielmehr dürften lange Texte und komplexe Tabellen sie eher abschrecken.
Zweitens:
Bis auf wenige Ausnahmen ist das ESRS-Kapitel strukturell innerhalb des Lageberichts verortet. Eine schnelle Auffindbarkeit über eine prominente Platzierung im Inhaltsverzeichnis ist damit nicht gegeben. Dem entspricht, dass nur in einem einzigen Fall eine direkte Ansprechperson für das Thema Nachhaltigkeit genannt wird.
Drittens — und am schwerwiegendsten:
In den Vorworten — dem Ausdruck unternehmerischer Haltung schlechthin — bleibt Nachhaltigkeit oft unerwähnt. Die veränderten regulatorischen Anforderungen? Keine Aussage dazu. Die neue Struktur? Kein Thema. Nur in zwei Berichten wird die CSRD explizit aufgegriffen. Stattdessen dominieren andere Themen — solide, teilweise sogar exzellente Ergebnisse in einem herausfordernden Marktumfeld, strategische Initiativen und Investitionen, angestrebte Wachstumsziele. Nachhaltigkeit landet beim Aufsichtsrat — und wird dort formelhaft abgehandelt. Noch vor zwei Jahren klang das anders: Die damaligen CEO-Statements waren geprägt von Begriffen wie Transformation, Purpose, Verantwortung. Die Sprache: ambitioniert, zukunftsgerichtet, wertebasiert. Heute dagegen: Business as usual. Trotz neuer Inhalte, neuer Struktur und neuer Relevanz.
Verschenktes Potenzial
Das ist mehr als eine rhetorische Leerstelle — es ist eine vertane Chance. Denn wer die Inhalte der Geschäfts- und Integrierten Berichte genauer liest, erkennt: Die Unternehmen haben viel geleistet. Sie haben Daten erhoben, Wesentlichkeiten identifiziert, Risiken analysiert, Maßnahmen beschrieben. Sie dokumentieren Ziele, Verantwortlichkeiten und Kennzahlen — in einer Tiefe, die es zuvor nicht gab. Diese Informationen sind nicht nur regulatorisch notwendig — sie sind strategisch bedeutsam, reputationswirksam und identitätsstiftend: Nachhaltigkeit wirkt — wenn man sie sichtbar macht. Die CSRD ist kein bürokratisches Hindernis, sondern ein strategisches Instrument. Wenn man sie als solches begreift…
… nach innen
- Wissen verankern:
Themen wie Ressourcenverbrauch und Kreislaufwirtschaft, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten oder Governance-Strukturen fördern das systematische Verständnis unternehmensweiter Zusammenhänge. Die Erhebung dieser Daten verändert den Blick auf das eigene Unternehmen und schafft Relevanz über Abteilungsgrenzen hinweg. - Mitarbeitende inspirieren:
Eine glaubwürdig kommunizierte Nachhaltigkeitsagenda wirkt nach innen: Sie stiftet Sinn, stärkt die Identifikation der Mitarbeitenden und entfacht Innovationskraft. Die systematische Auseinandersetzung mit Risiken und Chancen, wie sie die ESRS fordern, eröffnet dabei neue Perspektiven: auf Prozesse, Produkte und Potenziale. - Strukturen optimieren:
Die Erhebung bislang nicht verfügbarer Daten legt Schwächen offen: Redundanzen, Ineffizienzen, blinde Flecken. Die CSRD kann so zum Hebel für bessere Prozesse werden.
… nach außen
- Vertrauen schaffen:
Transparenz ist ein strategischer Vorteil. Ob Investor:innen oder Geschäftspartner:innen — sie alle achten verstärkt auf ESG-Kriterien. Die CSRD bietet dafür eine belastbare Grundlage. - Reputation stärken:
Wer die eigene Haltung in der Berichterstattung sichtbar macht, erhöht seine Glaubwürdigkeit — und positioniert sich im Wettbewerb. - Talente gewinnen:
Nachhaltigkeit ist längst ein entscheidender Faktor im Employer Branding. Doch um zu überzeugen, braucht es mehr als Zahlen: Es braucht Narrative, Ziele, Haltungen.
Mut zur Kommunikation
Die meisten Unternehmen haben sich in diesem Jahr auf die Erfüllung der regulatorischen Anforderungen konzentriert. Verständlich. Die Unsicherheiten waren groß, die internen Prozesse komplex und die Umsetzungen aufwändig. In vielen Fällen war es ein Kraftakt, doch er ist gelungen, die Unternehmen haben „geliefert“. Im nächsten Schritt kommt es darauf an, auf dieser Grundlage aufzubauen. Nicht nur technisch, sondern auch strategisch; nicht nur im Geschäftsbericht, sondern auch in der Kommunikation — intern wie extern.
Denn die CSRD ist mehr als ein Regulierungsinstrument. Sie liefert nicht nur neue Inhalte, sondern eröffnet auch neue Möglichkeiten. Sie ist ein strategisches Werkzeug: Weil sie zur Auseinandersetzung mit Stakeholdern zwingt, eine neue Datenbasis schafft und Unternehmen die Gelegenheit bietet, sich als Treiber der Transformation zu positionieren.
„Ob die Unternehmen diese Chance nutzen, wird sich im nächsten Jahr zeigen. Die Basis ist geschaffen. Jetzt braucht es Mut zur Kommunikation. Und klare Worte — auch von ganz oben“, so Thomas Norgall, Autor des CSRD Monitors und Mitglied des Management Boards von hw.design. „Reporting ist kein Selbstzweck. Es bildet die Grundlage für Vertrauen in ein Unternehmen und seine Zukunftsfähigkeit.“
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Thomas Norgall
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